Sein Leben

Silvius Leopold Weiss wurde im Jahr 1687 in Grottkau bei Breslau (heute Wroclaw in Polen), der Hauptstadt von Schlesien, geboren1. Aus Schlesien kommen namhafte deutsche Lautenisten der Barockzeit: Vater und Sohn Reusner, Le Sage de Richée (?), Meusel, Baron, Kropfgans, Straube...

Seinen Vater, Johann Jacob (?1662-1754), nannte Baron einen "profunden Musicus, Laut- und Tiorbist." Er lehrte Silvius Leopold die Laute sowie seinem jüngeren Bruder Johann Sigismund und der jüngsten Schwester Juliana Margaretha.

Im Jahr 1706 stand Silvius Leopold im Dienst des Pfalzgrafen Karl Philipp aus dem Haus Pfalz-Neuburg, der damals in Breslau und Brieg residierte. Anfang dieses Jahres ging Weiss von Berlin zunächst mit dem Erbprinzen Friedrich von Hessen-Kassel nach Kassel, danach ließ er sich an dem Hof des pfälzischen Kurfürsten Johann Wilhelm in Düsseldorf hören2, der ein so engagierter Förderer der Künste und kundiger und leidenschaftlicher Musikfreund war, dass Corelli ihm sein Opus VI widmete.
Nach seinem Gastspiel von ungefähr einem Monat kehrte der junge Weiss wieder nach Breslau zurück.3 Ab 1709 sind Vater und Bruder von Silvius Leopold als Lautenisten in Düsseldorf nachweislich angestellt. Möglicherweise hat Silvius Leopold ihnen die Anstellung vermittelt.

Im Jahr 1707 zog Karl Philipp mit seinem Hof von Breslau nach Innsbruck. Ob ihn Silvius Leopold Weiss dorthin begleitete, ist bisher nicht bekannt.

Wahrscheinlich ab 1710 stand Weiss im Dienst des polnischen Prinzen Alexander Sobiesky, der im Exil in Rom lebte.4 Der Hof von Prinz Alexander residierte im Palazzo Zuccari, was Weiss die Gelegenheit gab, die Scarlattis, Vater und Sohn, kennen zu lernen, sowie auch den Organisten Bernardo Pasquini und ebenso seine Landsleute Händel und Heinichen.

Weiss begleitete den Prinzen auf seinen Reisen zu verschiedenen Höfen. Seine Virtuosität wurde überall bewundert.

Als sein Dienstherr 1714 starb, schaute sich Weiss nach einer ihm angemessenen neuen Stellung um. Auch wenn er Italien bald verließ, blieb der Einfluss groß. Diese Jahre prägten selbst seine letzten Kompositionen.
 

Bis zu einer Anstellung am Hof von Dresden im Jahr 1718 war Silvius Leopold Weiss vermutlich wieder im Dienst seines früheren Arbeitgebers Karl Philipp. 5 1717 war er nachweislich zwei Mal in Dresden, wo er so erfolgreich auftrat, dass er 100 Dukaten Honorar erhielt.

Außerdem war er in diesem Jahr zumindest einmal in Prag. Er traf dort sicher auf den berühmten böhmischen Lautenisten Graf Johann Anton Losy von Losimthal (ca.1650-1721), heute besser bekannt unter dem Namen Graf Logy. Weiss scheint in seinen Kompositionen von Losy beeinflusst zu sein. Auf jeden Fall hat er ein Tombeau zu dessen Andenken komponiert, wie auch eines für den Baron Cajetan von Hartig.

Am 23. August 1718 wurde er zum Kammermusiker des Kurfürsten von Sachsen August des Starken ernannt, der seit September 1697 auch König von Polen war.
Dieser gut bezahlte Posten brachte Silvius Leopold Weiss nach Dresden. Als Weltstadt der Künste und Wissenschaften, konnte sich die Stadt an der Elbe auch ihres vorzüglichen Opernhauses und eines der besten Orchester des Reiches rühmen.

Der Hof von Dresden versammelte zu dieser Zeit viele der großen Namen: Neben dem Lautenisten Silvius Leopold Weiss die Flötisten Buffardin und sein Schüler Quantz sowie die Violinisten Francesco Veracini und Pisendel, der bei Vivaldi studiert hatte.

Er erhielt ein für die damalige Zeit ungewöhnlich hohes Gehalt von jährlich 1000 Talern. Als Friedrich August II. 1733 seinem Vater auf dem Thron folgte, erhöhte er das Gehalt "ohne sein Ansuchen" auf 1200 Taler und 1744 auf 1400 Taler. Der Lautenist war damit der am besten bezahlte Orchestermusiker am Dresdener Hof.

Daran zeigt sich deutlich, welche Bewunderung und welcher Respekt ihm entgegengebracht wurden. Deswegen sandte ihn sein Dienstherr immer wieder als musikalischen Repräsentanten Dresdens auf Reise.

Ende 1718 bis Anfang 1719 war er zusammen mit 11 weiteren Hofmusikern anlässlich der Brautwahl des sächsischen Kurprinzen in Wien. Im Herbst 1719 feierte der Hof von Dresden die Neuvermählten vier Wochen lang.

Im Jahr 1722 wurde Weiss von dem Violinisten Petit, einem Schüler von Tartini, im Zorn beinahe das erste Glied seines rechten Daumens abgebissen. Nachdem er sich davon erholt hatte, war er zusammen mit Buffardin in München bei der Hochzeit des bayerischen Kurprinzen. Er wurde dafür königlich entlohnt.

1723 reiste er zum dritten Mal nach Prag (vorher 1717 und 1719) in Begleitung des illustren Flötisten Johann Joachim Quantz und Karl Heinrich Graun, eines Sängers und vorzüglichen Komponisten. Die drei Musiker wohnten der Krönung Kaiser Karl VI. zum König von Böhmen bei.

Im Mai 1728 begleitete er seinen Herrn an den Hof von Berlin zusammen mit drei anderen großen Musikern des Hofs: dem Violinisten Pisendel und den Flötisten Buffardin und Quantz. Er blieb drei Monate dort, vielleicht auch auf Wunsch der späteren Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, der Schwester Friedrich II. Ihr Zeugnis ist eines der schönsten, das auf uns gekommen sind.

Weiss konnte unter seine Gönner auch den Grafen Hermann Karl von Keyserlingk rechnen, der Musikfreunden bekannt ist, weil J.S. Bach ihm seine berühmten Goldberg-Variationen gewidmet hat. Angesehen als großer Liebhaber und Kenner der Musik, setzte er sich 1738 für Weiss ein, als er wegen eines Vergehens in Arrest gesetzt wurde. Weiss hatte wohl einen Affront gegen den Maitre des Plaisiers von Breitenbauch begangen. Keyserlingk schrieb an den Minister, lobte den Lautenisten und bat um seine Freilassung.

Später kümmerte sich der Graf finanziell um den Sohn von Weiss, Johann Adolf Faustinus (1741-1814) und ließ ihn bei sich in Königsberg wohnen. Er ermögliche ihm, seine Ausbildung auf der Laute zu vollenden.

Weiss muss das Leben am Hof von Dresden ganz besonders geliebt haben. Das zeigte sich daran, dass er 1736 eine Anstellung am Wiener Hof ausschlug, bei der ihm ein unglaublich hohes Gehalt von 2000 Talern angeboten worden war. Die Musiker und auch die Öffentlichkeit von Dresden waren allerdings bekannt für ihre Qualität.

1738 traf Weiss in Dresden den Berliner Violinisten Franz Benda. Sie spielten abwechselnd vom Nachmittag bis um Mitternacht, Benda 24 Solos für die Violine und Weiss dazwischen 8 bis 10 Sonaten für die Laute (cf Hiller, Biographie von F. Benda).

Im Jahr 1739 traf Silvius Leopold Weiss seinen Leipziger Kollegen Johann Sebastian Bach. Wilhelm Friedemann Bach, Organist an der Sophienkirche in Dresden, war damals bei seinem Vater zu Gast. Er brachte S.L. Weiss und dessen Kollegen und Schüler Kropfgans, der ebenfalls Lautenist in Dresden war, allerdings am Hof des Grafen von Brühl, mit nach Hause. Über das Zusammentreffen mit dem Leipziger Meister berichtet Johann Elias Bach, der Neffe von J.S. Bach, der zu dieser Zeit sein Privatsekretär und Hauslehrer von Bachs Kindern war.

Wie bereits erwähnt, wurde Weiss ebenso wie J.S. Bach von dem Grafen Hermann von Keyserlingk protegiert. Bei D. Charlton kann man nachlesen, dass die beiden Musiker sich bei verschiedentlichen Gelegenheiten in Dresden getroffen haben. Möglicherweise hat J.S. Bach sogar einige seiner Lautenkompositionen für Weiss angefertigt. Bereits ab 1717 war J.S. Bach immer wieder am Hof von Dresden, - nach 1733 war außerdem sein Sohn W.F. Bach Organist an der Sophienkirche. So gab es für sie viele Möglichkeiten des Zusammentreffens.

J.F. Reichardt schreibt 1805 von einem Zusammentreffen der beiden Musiker, bei dem sie ihre musikalischen Fähigkeiten in einem Wettstreit erprobten: "Wer die Schwierigkeiten der Laute für harmonische Ausweichungen und gut ausgeführte Sätze kennt, der muß erstaunen und kann es kaum glauben, wenn Augen- und Ohrenzeugen versichern, daß der große Dresdner Lautenist Weisse mit Sebastian Bach, der auch als Clavier- und Orgelspieler groß war, in die Wette phantasiert und Fugensätze ausgeführt hat."

Weiss hatte kein Interesse daran, seine Werke zu veröffentlichen. Von den über 650 uns bekannten Werken wurde nur ein einziges zu seinen Lebzeiten gedruckt: das Presto in B-Dur in "Der getreue Musik-Meister"von Georg Philipp Telemann 1728. Es sollte neben einer Suite von E.G. Baron als Beispiel für eine Lautentabulatur dienen.

Seine Werke sollten seine eigene Virtuosität herausstellen, und so behielt er sie für sich, wie später noch viel mehr Paganini und auch Mozart mit seinen Klavierkonzerten.

Das Lebensende von Weiss war das eines Menschen, der auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angekommen war. Er wohnte in Dresden und empfing Schüler aus aller Herren Länder, die er in seiner Musik unterwies und ihnen Stunden gab.

Am 16. Oktober 1750 starb Weiss. Er hinterließ seine Frau Elisabeth mit sieben Kindern. Sein Sohn Johann Adolf Faustinus folgte seinen Spuren und wurde später Kammerlautenist am Dresdener Hof.

Trotz seines, für einen Musiker seiner Zeit außergewöhnlich hohen Gehalts, hinterließ Weiss seiner Familie nichts. Wahrscheinlich hatte er sein Geld für einen standesgemäßen Lebenswandel aufgebraucht.


(1) Vgl. dazu die neuesten Forschungen von Frank Legl. Er erkannte als erster die historische Bedeutung der beiden Artikel aus Gottscheds Handlexikon, die von Luise Adelgunde Victorie Gottsched stammen (s. Zeitzeugen). Daraus geht hervor, dass Silvius Leopold Weiss erst 1687 in Grottkau geboren wurde, also jünger war, als die Forschung bisher annahm. Ob die Angabe 12. Oktober stimmt, kann letztlich nicht mit Sicherheit festgestellt werden, da die Daten auf dem Stich von Folin erst 15 Jahre nach dem Tod von Weiss eingraviert wurden und sie sich bereits beim Sterbedatum als unzuverlässig erwiesen haben (vgl. Frank Legl, Zwischen Grottkau und Neuburg, Jahrbuch der Deutschen Lautengesellschaft 2000, Nr. IV, S. 1-40). Außerdem wird dieses Geburtsjahr indirekt durch den Eintrag in den "Kirchlichen Wochenzetteln" im Stadtarchiv Dresden vom 19. Oktober 1750 bestätigt, den André Burguete entdeckt hat: "Silvisius [sic] Leopold Weiss, Königl. Camer Musicus ein Ehemann 64. Jahr an Verzeh: Fieber kleine Brüder Gasse im H. Accis Rath von Broitzen Hausse aufm. Rom. Catho. Begräb. Platz.".  

(2)  Vgl. Frank Legl, aaO, S. 7f; sowie die Überschrift der Sonate S-C 7 im Dresdener Manuskript: "Von an[n]o 1706 in Düsseldorf ..." (Reich, Seite 261).

(3)  Frank Legl widerlegt auch die in der Forschung verbreitete Ansicht, dass S.L. Weiss in Düsseldorf angestellt war.

(4)  Luise Gottscheds Angabe ("Im 1710 Jahre ging er nach Rom") scheint hier genauer zu sein als die Angabe von Baron: "Ohngefehr Anno 1708 ging er mit dem Printzen Alexander Sobiesky nach Italien"

(5)  Das legt zumindest der Brief von August dem Starken an den Kurfürsten von der Pfalz Karl Philipp vom 3. April 1718 nahe (vgl. Legl, aaO). Frank Legl weist auch nach, dass Silvius Leopold zwischen 1715-1718 weder in Kassel noch in Düsseldorf angestellt war. Die bekannten Zeitungsausschnitte von London im Jahr 1718 dürften sich wohl auf seinen Bruder Johann Sigismund Weiss beziehen.


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