© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript


Solo-Sonate 13 in D-Dur
(Smith-Crawford 18)

Die kompletten und berarbeiteten Texte von 'London unveiled' von Michel Cardin können als pdf-Dateien herunter geladen werden (zur Zeit nur in Englisch): 'London unveiled'

Die Suite Nr. 13 eröffnet eine Reihe von fünf Suiten in der Mitte des Londoner Manuskripts. Das Jahr 1719, in dem sie komponiert wurden, war besonders fruchtbar, denn darüberhinaus ist in diesem Manuskript bei drei weiteren Einzelstücke dasselbe Entstehungsjahr angegeben. Diese Suiten wurden von zwei verschiedenen Kopisten aufgeschrieben, doch wie sonst auch bei diesem Manuskript lässt sich keine Verbindung zwischen einer spezifischen Handschrift und bestimmten Stücken feststellen, wie ich bereits oben ausgeführt habe. Fast alle Sätze sind mit Weis oder Weis 1719, bzw. S.L.Weis 1719 bezeichnet. Typographisch fällt der konsequente Gebrauch des einfachen 's' im gesamten Manuskript auf. Nur die letzten vier Signaturen werden wie im Dresdener Manuskript Weiss mit zwei 's' geschrieben.

Im Wiener Manuskript beginnt die Suite mit dem Prelude der 2. Suite und endet mit der Angloise, wobei die Passagaille ausgelassen wird (die aber gleichwohl im Haslemere Ms. zu finden ist). Hier enthält diese Suite kein eigenes Prelude. Man könnte deshalb, wie bereits angesprochen, sich hier eines aus den Themen der verschiedenen Sätze zusammenstellen. So ging man damals üblicherweise vor, wenn kein Prelude vorhanden war.

D-Dur wäre von damaligen Theoretikern als eine Tonart mit zwei einander entgegengesetzten Charakteristiken beschrieben worden: "Scharf und eigensinnig" auf der einen Seite, dabei doch auch fähig, "gar artige und fremde Anleitung zu delikaten Sachen" zu geben. Diese delikaten und ruhigen Momente sind in der Allemande und zu Beginn der Passagaille zu finden, wohingegen die Sarabande eine eher nervöse und fieberhaft aufgewühlte Grundstimmung besitzt. In der Allemande, die mit einem typisch Weiss'schen Harmonieschema beginnt, fällt sofort der Gebrauch von Oktav-Parallelen auf, die man in der Klassik als Stilmittel bei Haydn und Mozart wiederfindet. Wenn man sich mit einer Allemande von Weiss beschäftigt, dann gleicht das in gewisser Weise dem Schleifen einer Glas-Skulptur. An jeder einzelnen Note muss sorgfältig gefeilt werden, bis sich die angemessene Klangfarbe ergibt, so wie man bei der Nachbearbeitung einer Kristallfläche auf die richtige Reflexion des Lichts achtet.

Es ist eine große Herausforderung, diese äußerst virtuose Courante zu spielen, ohne außer Atem zu geraten. In drei der fünf Manuskripte trägt die Angloise diesen Titel (London, Wien, Buenos Aires) aber in den anderen beiden Manuskripten (zweite Variante von Wien, Warschau) wird sie als Paysanne bezeichnet. Dieser Satz zeichnet sich durch frische, kurze Phrasen aus, die im Gegensatz zu den langen, sorgfältig ausgearbeiteten Bögen der Courante stehen. An der Angloise wird deutlich, wie sehr ein leichteres Zwischenspiel die Stimmung in einer eher ernsten Suite wie dieser aufhellen kann. Sie erscheint von ihrer Anlage her mehr klassisch als barock und erinnert an Haydn. Die 'notes egales' und 'notes inegales' vermischen sich ganz natürlich, die Gründe dafür sind musikalischer und technischer Art: In der Tat verleitet der Fingersatz der rechten Hand dazu, spontan den Rhythmus anstatt der notierten Notenwerte     zu spielen. Wenn man diese durchgehend genau beachtete, würde das schnell eintönig. Der Vergleich dieses Stückes mit den Alternativ-Quellen führte zu einer überraschenden Entdeckung: Das intuitive Verlangen, ein zweitaktiges Stück nahe dem Ende des ersten Teils zu wiederholen, erwies sich dadurch als gerechtfertigt, dass eines der Wiener Manuskripte eine strikt ausnotierte Version dieser Wiederholung enthält. Eine zweite Überraschung in dieser Angloise: Der zweite Teil beginnt mit einer harmonischen Progression, die auf der pentatonischen Tonleiter basiert und interessanterweise an ein Rock'n'Roll-Cliche erinnert.

In technischer Hinsicht ist die Sarabande ziemlich schwierig, weil sie ein durchgängiges Legatospiel verlangt, das nur durch die Wiederholungszeichen unterbrochen wird. Die dazu notwendige Legato-Technik erfordert eine außergewöhnliche Gewandheit der linken Hand. Die verzierte Schlusswendung vor der Wiederholung des ersten Teils verlängert den Takt. Ihre Notation macht deutlich, wie sehr der Rhythmus verändert werden konnte, wenn es der musikalische Ausdrucks erfordert. Das Menuet bringt auf jeden Fall den "kriegerischen" Aspekt zum Ausdruck, den Mattheson D-Dur zuschreibt. Die Anfangstakte des Menuetts und der Sarabande sind melodisch identisch, obwohl rhythmisch verschieden. Dieses Anfangsthema taucht am Ende nochmals in verschleierter Form auf. Es erscheint auch in einem anderen Menuett von Weiss (Wiener Handschrift), allerdings beschränkt sich die Ähnlichkeit auf den ersten Takt. Dieses Anfangsmotiv lässt sich in vielen anderen Werken von Weiss finden, aber auch bei J.S.Bach: In der Allemande der Französischen Suite BWV 816 und im Menuett der Flötensonate BWV 1033. Letztere ist in ihrer Autorschaft umstritten und erinnert an Weiss, weil sie sehr gut auf der Laute liegt. Beinahe jeder Gitarrist kennt die abschließende Passagaille, die eine bewundernswerte kompositorische Reife zeigt. Wenn man alle Wiederholungen, auch die des letzten Teils - wie notiert - spielt, steigert sie sich kontinuierlich und dabei sehr kontrolliert zu einem dramatischen Höhepunkt. Sie ist eines der wenigen Stücke in dieser umfangreichen Musikhandschrift, die von vielen Künstlern aufgeführt wurden. Dieses Werk gehört zum Lehrplan der meisten Gitarrenklassen auf der ganzen Welt. Eine der reizendsten Eigenschaften dieser Komposition liegt in der Beweglichkeit der Basslinie, die mit ihren wiederkehrenden Synkopen den musikalischen Verlauf vorwärts treibt.


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