© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript


Solo-Sonate 3 in g-moll
(Smith-Crawford 3)

Die kompletten und berarbeiteten Texte von 'London unveiled' von Michel Cardin können als pdf-Dateien herunter geladen werden (zur Zeit nur in Englisch): 'London unveiled'

Die Besonderheit dieser Suite, von der sich kein Satz anderswo findet, besteht darin, dass sie keinen Schlusssatz besitzt. An seiner Stelle stehen die beiden Menuette. Es wäre einfach und entspräche heutiger Praxis, eine Gigue aus einem anderen Manuskript zu entlehnen und in diese Suite zu integrieren. Aber ich ziehe es vor, sie so zu belassen, weil nach dem zweiten Menuett folgende Bemerkung zu lesen ist:

"il primo minuetto da capo è poi requiescant in pace".

Dieser Satz könnte nicht klarer sein, denn er beginnt mit einer gebräuchlichen musikalischen Anweisung ("Das erste Menuett da capo") und endet augenzwinkernd mit einem Ausdruck aus der lateinischen Messe ("Sie mögen in Frieden ruhen"), was uns den Willen des Komponisten deutlich macht: Sucht nicht nach einem Schlusssatz, er ist nicht hier!
Dass diese Schlussfolgerung richtig ist, zeigt sich auch daran, dass man im ganzen Londoner Manuskript keine Suite findet, in der Sätze fehlen, wenn man von Suite Nr. 9 (S-C 13) absieht. Im Gegenteil, manche Suiten haben mehr Sätze als notwendig. Wenn Weiss einen Schlusssatz gewollt hätte, wäre es ihm ein Leichtes gewesen einen Satz hinzuzufügen, was er an anderen Stellen des Manuskripts durchaus getan hat, hier aber bezeichnenderweise nicht.

Das Prelude mit seinem kurzen und dramatischen Verlauf gibt den Ton an für alles was folgt. Es weicht damit von dem ab, was Mattheson über g-moll sagt. Für ihn gilt: g-moll "ist fast der allerschönste Ton, weil er nicht nur die dem vorigen anhängende ziemliche Ernsthaftigkeit mit einer munteren Lieblichkeit vermischet, sondern eine ungemeine Anmuth und Gefälligkeit mit sich führet, dadurch er so wohl zu zärtlichen, als erquickenden, so wohl zu sehnenden, als vergnügten, mit kurzten, beydes mäßigen Klagen und temperirter Fröhlichkeit bequem und überaus flexible ist."

Die Allemande bestärkt uns noch mehr in unserem Gefühl bezüglich des Prelude. Die kurzatmigen Phrasen drücken etwas Fatalistisches und eine große Traurigkeit aus, sie rufen diesselbe Stimmung hervor wie die beiden Tombeaux, die Weiss komponiert hat.

Die Courrante ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich harmonische Struktur und melodische Entfaltung gegenseitig bereichern können. Trotz der oft großen Intervall-Sprünge bleibt die Melodie dabei sehr gesanglich, was ganz genauso der Fal ist bei den Partiten und Sonaten für Violine solo oder auch den Suiten für Violoncello solo von J.S.Bach. Bach wurde bei seinen unbegleiteten Solowerken wahrscheinlich mehr als man glaubt von seinem Kollegen Weiss beeinflusst.

Bei der Bourée (Sie wird hier wie an anderen Stellen im Londoner Manuskript "bourée" geschrieben, anders als im Dresdener Manuskript, wo sie häufig "bourrée" geschrieben wird) sind die Bindungen der linken Hand sehr wichtig für die Melodie. Sie lassen die Phrasen fließen, werden allerdings fast ausschließlich in absteigenden Passagen verwendet. Bei aufsteigenden Phrasen entfernt Weiss entweder die Bindungen oder verwendet "harmonische Stufen". Am deutlichsten wird das ganz am Ende des Stückes oder auch ganz zu Beginn:

Die Sarabande strahlt eine stoische Ruhe aus trotz einer unversöhnlich scheinenden Melancholie, die sich durch das ganze Stück hindurchzieht bis zu den letzten Takten, wo Note um Note erstirbt wie Wellen an einer Küste ohne Hoffnung auf Auferstehung.

Die Menuette offerieren eine interessante Mischung aus Leichtfertigkeit und Ernsthaftigkeit, sie sind voller Humor an manchen Stellen, an anderen wieder voll herber Strenge. So entsprechen sie ziemlich gut der Beschreibung von g-moll, die eine "ziemliche Ernsthaftigkeit mit einer munteren Lieblichkeit vermischet". Diese besondere Mischung verbunden mit klar gegliederten musikalischen Bögen hat der Komponist als passenden Abschluss seiner dritten Lautensuite gewählt.
Für diejenigen, die sich über die beiden rätselhaften Zeilen in der Tabulatur wundern, die auf das Menuet folgen, hier noch eine kurze und einfache Erklärung: Sie gehören nicht zu einem der Suitensätze, sondern sie sind eine Art Arpeggio-Übung, die rasch an das Ende der Seite geschrieben wurde.


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