© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript


Solo-Sonate 18 in C-Dur
(Smith-Crawford 24)

Die kompletten und berarbeiteten Texte von 'London unveiled' von Michel Cardin können als pdf-Dateien herunter geladen werden (zur Zeit nur in Englisch): 'London unveiled'

Die Solo-Suite Nr. 18 existiert nur in der Londoner Version, wenn man von dem Minuet mit Trio absieht, das sich auch im Dresdener Manuskript befindet, allerdings innerhalb einer anderen Suite in der Handschrift von Weiss. Eine Kopie des Minuets ohne Trio findet sich im Münchner Manuskript. Mattheson hat C-Dur folgendermaßen beschrieben: "Dieser Ton hat eine ziemlich rude und freche Eigenschaft, wird aber zu Rejouistancen, wenn und wo man sonst der Freude ihren Lauf läßt, nicht ungeschickt seyn, dem ungeacht kan ihn ein habiler Componist [...] füglich auch in tendren Fällen anbringen."

Die Overture mit all ihrer Noblesse ersetzt hier die beiden sonst üblichen Sätze von Weiss-Suiten: die Allemande und Courante. Man könnte diesen Satz mit seiner Struktur langsam-schnell-langsam treffenderweise überschreiben mit 'Ouverture a la francaise'. Dieses orchestral klingende Werk könnte von Händel stammen. Auf der anderen Seite klingt das rhythmische Motiv des Themas im schnellen Teil beinahe gleich (allerdings in Dur) wie das thematische Material der Preludes zu den Lautensuiten Nr. 1 und 3 von J.S.Bach. Dies sind nicht die einzigen musikalischen Ähnlichkeiten zwischen den drei Meistern aus Leipzig, Dresden und London. Wie seine beiden Kollegen versteht Weiss sein Handwerk meisterlich: Der harmonische Verlauf seiner Modulationen und die Ausgewogenheit im Aufbau sind Zeugnis für seine kunstfertige Sensibilität. Auch hier habe ich nichts am Notentext verändert, außer den Punktierungen in den zwei langsamen Teilen, die ich verlängert habe, um die Majestät des musikalischen Ausdrucks zu verstärken. Wie sehr seine Werke bis ins Detail ausgearbeitet sind, lässt sich an folgendem Beispiel sehen, das eines unter vielen ist. In den durchgehenden Rhythmus vor der Rückkehr zum langsamen Teil sind Hemiolen eingearbeitet, die die mittlere Stimme verlangsamen, ohne dass sich das Metrum ändert, denn die beiden anderen Stimmen behalten ihre Betonung bei:

Die Bourrée, aufgrund der vorher erwähnten Umstände der zweite Satz, ist äußerst polyphon, ohne dabei den typischen Tanz-Charakter und die Kantabilität zu verlieren. Die Eingangsmelodie weist hin auf die folgende Sarabande. Man findet hier auch schon den Echo-Effekt, der in Suite Nr. 20 vorherrscht und ein Mittel ist, dass Weiss in diesem Stadium seiner Entwicklung noch viel systematischer verwenden wird. Die Fragmente, die hier und da wiederholt werden, sind nicht das Ergebnis fehlender Vorstellungskraft und auch nicht das Resultat planloser Improvisation. Man wird sie wohl eher so verstehen müssen, dass der Komponist hier verschiedene Klangschattierungen wünscht, insbesondere den Wechsel zwischen forte und piano, der später zu einem unverzichtbaren Bestandteil des klassischen Stils wird. Meiner Meinung nach sollte ein Lautenist diese thematischen Wiederholungen als Gelegenheit verstehen, dynamische Kontraste anzuwenden, natürlich unter Verwendung entsprechender barocker Techniken der rechten Hand. Sonst wären die Feinheiten der Tonschattierungen nicht oder nur sehr schwach wahrnehmbar.

Obwohl die Tabulatur vom praktischen Gesichtspunkt her unschlagbar ist, ist doch auch festzuhalten, dass eigentlich kein Notationssystem den Klang der Laute wirklich adequat abbilden kann. Deutlich machen möchte ich das am Ende des ersten Teils der Bourrée, wo das musikalische Ergebnis eigentlich nur durch eine ausgearbeitete Orchesterpartitur korrekt notiert werden könnte. Doch selbst diese scheinbar ideale Form der Niederschrift kann nicht festhalten, was für einen Effekt die nachklingenden Resonanztöne auf den Zuhörer haben. Denn der Höreindruck liegt letzlich in der Hand der Zuhörenden. Die aufeinander folgenden, nachklingenden, harfenähnlichen Töne erinnern uns nochmals daran, dass wir bei den Anmerkungen zum zweiten Volume dieser Aufnahmen darüber gesprochen haben, dass der Hörer die Melodie selber zusammensetzt. Unser jetziges Beispiel würde so klingen:

Auffällig ist, dass das A im vorletzten Takt, das auf der leeren Nachbarsaite liegt, auch im letzten Takt nachklingt, was dem Zuhörer die Freiheit lässt zu entscheiden, ob dieses Ineinanderklingen ein Appogiatura zum letzten G darstellt oder eben auch nicht.

Wie üblich nimmt die Sarabande die zentrale Stelle in dieser Suite ein. Sie ist hier als Aria betitelt mit dem Hinweis un poco andante. Man kann dies als einen Hinweis darauf verstehen, dass der Komponist in seinem Innersten der der Klassik bereits sehr nahe stand. Ein anderes klassisches Element findet sich in den notierten Pausen, die in den Tabulaturen eher selten waren. Sie sollen vermutlich auf ein gewolltes Abdämpfen der Melodie hindeuten. Auch die komplette Wiederholung des Eingangsthemas vor dem Schluss weist vor auf die Musik im Zeitalter der Aufklärung. Das Minuett ist bescheiden und bezaubernd. Es überlässt dem Trio die rhetorische Dimension, das plötzlich in c-moll steht und den Zuhörer in die Tiefen eines mürrischen Wesens führt, aber dennoch nicht ohne Anmut ist. Die Da capo-Wiederholung des Minuets erscheint durch den Kontrast leicht und spielerisch. Der Schlusssatz ist eine 9/8-Gigue, im Gegensatz zu 6/8. Dadurch entsteht eine andere Betonung der Phrasen, bis hin zu dem Punkt, wo der 9/8-Fluss sich immer wieder mit einem 3/4-Takt abwechselt. Der Gebrauch dieser "normalen" Hemiolen erinnert an den Canario der Renaissance-Zeit und verleiht diesem reizvollen Finalsatz eine gewisse fröhliche Atmosphäre.


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