© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript


Solo-Sonate 21 in c-moll
(Smith-Crawford 27)

Die kompletten und berarbeiteten Texte von 'London unveiled' von Michel Cardin können als pdf-Dateien herunter geladen werden (zur Zeit nur in Englisch): 'London unveiled'

Diese Suite findet sich auch in den Manuskripten von Dresden und Salzburg, allerdings ohne das Prelude, das hier als Autograph von Weiss überliefert ist. Im Salzburger sind zwei zusätzliche Sätze zu finden. Allerdings fehlt dort die Sarabande, sie ist dort durch eine andere ersetzt. Die Gavotte und der Rigadon finden sich auch im Münchner Manuskript. Der siebte und achte Satz der Suite sind in Wirklichkeit zwei Teile eines größeren Ganzen, vergleichbar den Paar-Sätzen, die wir in der Solo Suite Nr. 17 (Smith-Crawford 23) gefunden haben.

In seiner akribischen Beschreibung von c-moll, stellt Mattheson fest: "c-moll ist ein überaus lieblicher, dabey auch trauriger Ton, weil aber die erste qualite gar zu sehr bey ihm prävalieren will, [ .... ] so ist nicht übel gethan, wenn man dieselbe durch ein etwas munteres, oder edenträchtiges mouvement ein wenig mehr zu beleben trachtet". Zu den anderen Werken in c-moll, die im Londoner Manuskript enthalten sind, gehören eine Fantasie und die fünfte Suite (Smith-Crawford 7). Eine gewisse Lebendigkeit ist allen drei Werken zu eigen, aber nur Suite Nr. 21 scheint mehr von Lieblichkeit als von Feierlichkeit erfüllt zu sein.

In der Tat ist selbst das Prelude, das denselben improvisatorischen Schwung wie der entsprechende Satz von Suite Nr. 20 hat, durch einen ausgewiesen dramatischen Verlauf gekennzeichnet. Die Arpeggios wachsen an wie eine Welle, die in düsterster Stimmung beginnt und dann immer mehr auf das Licht zuwächst. Sie scheint das Leben selber in Frage zu stellen. Der starke Federstrich von Weiss, imponierend und eindrucksvoll für das Auge, spiegelt sich in dem Feuer des musikalischen Ausdrucks, der das erruptive Temperament des Genies bei der Arbeit offenbart. Dieses Prelude ist ohne Taktmaß, bis auf, merkwürdig genug, einen Takt. Am Anfang scheint der Komponist damit zeigen zu wollen, wie die beiden Anfangs-Arpeggien akzentuiert werden sollen, die einen schreienden Septim-Akkord umrahmen, der sehr zu Herzen geht. Wenn man thematische Anklänge suchen will, kann man hier den Beginn des berühmten Bouree von Bach aus der ersten Lautensuite (BWV 996) hören, der am Ende des Prelude angedeutet wird.

Wie im Salzburger Manuskript ist auch hier die Allemande mit Andante untertitelt. Wie Mattheson beschreibt, wird hier die der Tonart zu eigene Traurigkeit von den lieblicheren Aspekten des musikalischen Verlaufs übertönt; sie ist zwar immer noch da, aber nicht mehr so gewichtig. Dasselbe gilt für die folgenden Sätze. Auch in ihnen wird die Aura der Traurigkeit durch fließende, heitere Melodien aufgehellt.

Für die reizvolle Gavotte sind die "notes inegales" das erforderliches Ausdrucksmittel, da sie ganz an den französischen Lautenstil des 17. Jahrhunderts erinnert. Dass dies der Intention des Komponisten entspricht, lässt sich durch die Verwendung von Bindebögen von unbetonten zu betonten Schlägen in manchen Takten erhärten. Wenn man die Aufnahme mit den Quellen vergleicht, wird man feststellen, dass für einen Takt des Hauptthemas die Dresdner Version wegen ihres besonderen harmonischen Reichtums bevorzugt wurde. Außer einigen wenigen Stellen, bei denen der Wunsch da war, das Endergebnis zu verbessern (wie in der Allemande von Le Fameux Corsaire), bleibt aber der Gesamteindruck, dass das Londoner Manuskript das am sorgfältigsten gearbeitete aller Versionen ist, Dresden eingeschlossen, besonders was die harmonischen Details und die instrumentalen Verbindungen angeht.

Das Rondeau, das an Melodien von Lully und Monteclair erinntert, ist vom Aufbau her identisch mit dem Rondeau von Suite Nr. 20 und enthält ebenfalls drei Teile mit Da Capo-Wiederholungen des Themas. Hier entdecken wir wieder, dass die Lieblichkeit den Sieg über die Melancholie davonträgt. Die kühnen, verschobenen Rhythmen der Bassstimme im zweiten Teil sind erwähnenswert. Welch einen Grad von Reflexion verlangt uns eine Sarabande von Weiss ab! Um bei einem solchen musikalischen Rohling die Laute zum Blühen zu bringen, zwingt uns der Komponist zu grundlegendem Nachdenken. Wir müssen daran so lange arbeiten, bis sich ein schlüssiger und fließender musikalischer Verlauf ergibt. Dieser liegt der verborgenen Wahrheit nahe, so glaubt man oder wünscht es sich auf jeden Fall, die man in einer korrekten Akzentuierung und einer einfallsreichen Verzierungskunst zu finden verlangt. Bezüglich dieser interpretatorischen Mittel, möchte ich hier noch einmal wiederholen, dass ein wirklicher Missbrauch davon nur von mangelnder praktischer und theoretischer Sachkenntnis kommen kann. Hier ist der Satz mit Sarabanda überschrieben und steht in der parallelen Durtonart zu c-moll, nämlich in Eb-Dur. Dieser Ton hat nach Mattheson "viel pathetisches an sich, und will mit nichts, als ernsthafften und dabey plaintiven Sachen gerne zu thun haben". Das ist eine bemerkenswert genaue Beschreibung. Darüberhinaus bietet diese Sarabande eine exzellente Gelegenheit wunderschöne Klangfarben darzustellen, insbesondere wenn das Thema mit den großen Sexten im mittleren Register über dem Dominant-Pedalton wiederkehrt. Bei der Ausführung habe ich mich, natürlicherweise, vom dem entsprechenden Maß an Ausgewogenheit leiten lassen. Dieses Thema lässt die dichterische Phantasie wach werden; das Vergehen der Zeit scheint gestoppt durch die einschläfernden Wiederholungen und die melodischen Motivfetzen. In den Sarabanden, so kann man sagen, zeigt sich Weiss von seiner beschaulichen, meditativen Seite.

Manche Kompositionstechniken, die sich hier in dieser c-moll-Suite finde, insbesondere in der Sarabande und La belle tiroloise, sind denen ähnlich, die man in den Suiten Nr. 22 und Nr. 23 findet. Sie geben meiner Meinung nach einen ziemlich überzeugenden Beweis der chronologischen Nähe dieser Werke ab, die sich auch in ihrer Anordnung im Manuskript selber zeigt. Das unruhige Minuet unterscheidet sich von den anderen Sätzen durch seine eigensinnigen, fast hartnäckigen musikalischen Phrasen, die dennoch zugleich auch eine lyrische Qualität in sich tragen, die sie in der Erinnerung der Zuhörer haften lässt. Wie bereits früher erwähnt, sind der Riguadon und La belle tiroloise zwei Teile einer größeren Einheit, wobei das Letztere in praktischer Hinsicht ein zweiter Riguadon ist, der mit einer Da Capo-Bezeichnung für den ersten versehen ist. Dieser Tanzsatz ist nahe verwandt mit der Gavotte durch seine ähnliche Akzentuierung und hüpfende Bewegung. Er erscheint zum ersten Mal im Londoner Manuskript. Seine Schreibweise ist im Salzburger Manuskript anders, Rigedon, um genau zu sein (Die Dresdener und Münchner Ms führen ihn als Rigaudon auf). Die Tiroloise wird in den Manuskripten von Dresden und Salzburg als Angloise aufgeführt, was ein bisschen verwundert, wenn man bedenkt, dass das rhythmische Motiv hier das typische der Angloise ersetzt. Der Titel scheint dennoch gut zu passen, da die zahlreichen Triller und doppelten Mordente an das Jodeln von Tirol erinnern, das in diesem Fall von einem Alphorn in der Form einer Bass-Pedalnote begleitet wird. Die Eigenart des Themas ist der Grund dafür, dass der erste Teil etwas breiter ausgearbeitet ist als das normalerweise bei dieser Art von Komposition der Fall ist.


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