© Michel Cardin
Das Londoner Manuskript


Solo-Sonate 15 in f-moll
(Smith-Crawford 21)

Die kompletten und berarbeiteten Texte von 'London unveiled' von Michel Cardin können als pdf-Dateien herunter geladen werden (zur Zeit nur in Englisch): 'London unveiled'

Hier finden wir die letzte Diskrepanz zu den Smith-Crawford-Nummern. Die Differenz zwischen den beiden Zählweisen liegt daran, dass ich vorerst die fünfte (und letzte) Duo-Suite in d-moll ausgelassen habe. Sie wird mit den anderen vier Duo-Suiten, den Einzelstücken und der unvollständigen Suite in Bb-Dur (S-C 4) in einem Extra-Abschnitt behandelt werden.

"Scheinet eine gelinde und gelassene, wiewohl dabey tieffe und schwehre, mit etwas Verzweiffelung vergesellschaffte, tödtliche Hertzens-Angst vorzustellen, und ist über die massen beweglich. Er drucket eine schwartze, Hülff-lose Melancholie schön aus, und will den Zuhörern bißweilen ein Grauen, oder einen Schauder verursachen." Diese Beschreibung der Tonart f-moll von Mattheson scheint besonders gut zu dieser Musik zu passen, da sie einen Schwung enthält, gewissermaßen eine atemberaubende Frische, besser gesagt eine große Beweglichkeit, die ununterbrochen düstere musikalische Ideen aufwühlt. Das Dresdener Manuskript enthält dieselbe Suite vollständig. Von ihr habe ich, wie schon einige Mal vorher, einige interessante Varianten ausgewählt, insbesondere für die Sarabande. Im Londoner Manuskript ist die letztere, merkwürdig genug, vor der Bourree platziert. Von der Allemande an ergeben sich wegen der gewählten Tonart ungewohnte Fingersätze für die linke Hand. Vermutlich hat der Komponist mit der Resonanz des Instruments experimentiert; beim Spielen kann man die harmonischen Resonanzen am Holz des Instrumentes spüren. Am Ende dieses Stücks steht ein Kadenzakkord mit dem tiefen Kontra-E auf der zehnten Saite, der dem Zeigefinger einen Barre über 18 Saiten abverlangt. Dieser Fingersatz gibt einen klaren Hinweis darauf, dass hier, wie auch in der Zehnten Suite (S-C 15), eine Standard-Bassreiter-Laute verwendet wurde, im Gegensatz zur Theorben-Laute. Dieser lange schwebende Akkord gibt Matthesons Beschreibung recht, denn er verursacht in der Tat ein Gefühl des "Schauders".

Die folgende Courrante (diese Schreibweise taucht auch im Dresdener Manuskript auf) ist ebenfalls reich an synkopischen Mittelstimmen. In diesem Fall verlangt der Notentext der linken Hand enorme Strapazen ab, die sich aus den vielen Vorzeichen und der Notwendigkeit eines ununterbrochenen Barre-Spiels ergeben. Die Courrante ist von Verhängnis erfüllt, gewissermaßen von Verzweiflung. Diese Verzweiflung ist auch in der mit "adagio" untertitelten Sarabande zu spüren, ein Schrei aus tiefstem Inneren wie bei der Sarabande der Achten Suite (S-C 12). Das Anfangsthema erinnert uns an Bach und Schubert. Es lässt sich wieder feststellen, dass bei Weiss bereits der klassische Stil anklingt, wenn er die sehnsüchtig dahinfließenden Terzen hier mit langen Orgelpunkten unterlegt.

Beide, Bourree und Menuet, entsprechen dem Ideal von f-moll: sie sind sehr bewegt in ihrer Düsternis. Der letztere Satz trägt den Titel "Tempo di Menueto", um möglicherweise den Interpreten davor zu bewahren, es mit der Bewegtheit zu sehr zu übertreiben. Die Gigue besitzt die selbe Athmosphäre und zeigt dennoch eine reizvolle Eleganz. Mehr als sonst schwelgt der Komponist in Harmonieverläufen, die auch in entfernte Tonarten führen, was deutlich darauf hinweist, wie sehr er darauf bedacht war, jeder seiner Suiten eine einzigartige Persönlichkeit zu verleihen auch angesichts der unauffälligen und konventionellen Art des verwendeten musikalischen Ausdrucks und der technischen Schwierigkeiten. Wir können deshalb gut nachempfinden, dass Prinzessin Sophie Wilhelmine, die Schwester Friedrichs II. (des Großen) von Preußen und Schülerin von Weiss bemerkt hat, dass "keiner ihm gleich kommt und die, die ihm nachfolgen, sich damit zufrieden geben müssen, ihn nachzuahmen".


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